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Steigender Fachkräftemangel Berufswirklichkeit und Fortbildungschancen der Rechtsanwalts-und Notarfachangestellten von Danilo Wunger

Vortrag, gehalten auf der Ausbildungskonferenz der Schleswig-Holstein Rechtsanwaltskammer am 22.04.2013 in Neumünster. Der Verfasser ist Rechtsfachwirt und Bürovorsteher in der Kanzlei Lauprecht, Kiel, und Vorstandsmitglied des Landesverbandes der Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten Schleswig-Holstein e.V.

Landauf landab beeinflusst der Mangel an qualifizierten Auszubildenden und Fachkräften nicht nur in den großen wirtschaftlichen Betrieben die Arbeitsabläufe und Organisationsstrukturen, sondern auch zunehmend in den Rechtsanwalts-und Notariatskanzleien.

Die Rechtsanwaltskammer und die Notarkammer haben durch die Einsetzung des Ausbildungsplatzakquisiteurs Rechtsanwalt und Notar a.D. Linstaedt aus Flensburg, der -auch in Zusammenarbeit mit dem Landesverband der Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten Schleswig-Holstein e.V. – das Berufsbild und die Ausbildung der Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten auf Berufsmessen und in den Schulen vorstellt, bereits vor Jahren erste Maßnahmen zur verstärkten Akquise junger Schüler getroffen.

Am 22.04.2013 haben die Rechtsanwaltskammer und die Notarkammer zur Ausbildungskonferenz nach Neumünster geladen, um eine Problemanalyse und hierauf aufbauend, ein Konzept mit Gegenmaßnahmen zu entwickeln.

Trotz der Aktiven, die sich engagieren, steht dieser Tag auch für einen mittlerweile sehr ernst zu nehmenden Fachkräftemangel.

Denn trotz stetigem Zuwachs der Zulassungen von Rechtsanwälten sind in den vergangenen Jahren die Ausbildungszahlen für Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte immer weiter zurückgegangen.

Auch ohne prophetische Fähigkeiten sollte das Problem für jeden erkennbar sein: Wenn zu wenig ausgebildet wird, entsteht ein Mangel. Diesen Mangel werden wir am Arbeitsmarkt spüren. Ohne geeignete Gegenmaßnahmen wird sich dieser auch durch die demografische Entwicklung rasant verschärfen. Im besten Fall steigen nur die Gehälter, im schlimmsten Fall wird man überhaupt kein geeignetes Personal mehr bekommen.

Woran liegt es, dass sich immer weniger Schüler für eine Ausbildung zum Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten interessieren?

Ist es um die Attraktivität und Rahmenbedingungen dieses Berufs so schlecht bestellt?

Theoretisch nicht:

Dem Verfasser ist keine weitere Berufsausbildung bekannt, die es den Auszubildenden ermöglicht, eine aus zwei Berufsbildern zusammengesetzte Ausbildung zu erlernen.

Das Berufsbild stellt hohe persönliche Anforderungen. Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Präzision, Diskretion und kommunikative Fähigkeiten sind ebenso unabdingbar wie stetes Mitdenken zur Entlastung des Rechtsanwalts.
Die Ausbildung ist sehr vielseitig und weist zugleich eine Spezialisierung auf.

In der Ausbildung werden juristische Grundkenntnisse vermittelt, so dass die Auszubilden­den sich in der dreijährigen Ausbildung mit der ZPO, dem FamFG, GVG, der StPO und GBO aber auch dem BGB, HGB und StGB auseinanderzusetzen haben.
Weitere Schwerpunkte werden im Gebühren- und Kostenrecht, also RVG, KostO und GKG, gesetzt.
Darüber hinaus werden betriebswirtschaftliche Zusammenhänge und im Fach Rechnungs­wesen Grundzüge der Buchführung vermittelt.

Die kommunikativen Fähigkeiten werden im Fach Fachbezogene Informationsverarbeitung geschult. Hier stehen Textverarbeitung, Formatieren, die aktuellen DIN-Normen und Power­Point-Präsentationen auf dem Plan.

Die Auszubildenden sollen aufgrund dieser Ausbildung unter anderem dazu in der Lage sein:

  • selbstständig das außergerichtliche Inkasso und die Titulierung im Wege des Mahnverfahrens durchzuführen;
  • Zwangsvollstreckungsmandate eigenständig zu bearbeiten;
  • selbstständig Schreiben an Mandanten, Gerichte und Behörden zu fertigen;
  • die Buchführung zu übernehmen;
  • den gesamten Bereich des Kostenrechts zu bearbeiten;
  • Präsentationen zu erstellen;

Darüber hinaus sollen sie in der Lage sein, den so wichtigen ersten Kontakt der Mandanten mit der Kanzlei kommunikativ gewinnend zu gestalten.

Schließlich lässt sich durch anschließende Spezialisierung das Aufgabenfeld beispielsweise auch auf die eigenständige Bearbeitung der Insolvenzsachbearbeitung und Zwangsversteigerungen erweitern.

Diese Aufzählung ist bei weitem noch nicht vollständig. Unberücksichtigt bleibt die Ausbildung im Notariat.

Und Monotonie droht bei der Vielzahl an Gesetzesänderungen, Reformen und dem Einzug von technischen Innovationen in der Kanzlei auch nicht.

Die Attraktivität für unentschlossene Schüler lässt sich sogar noch dadurch steigern, dass zum Teil von den Berufsschulen angeboten wird, parallel die Fachhochschulreife zu erwer­ben.

Durch ein anschließendes Rechtsfachwirt- und/oder Notarfachwirtstudium, bei dem ein tiefes branchenspezifisches Wissen vermittelt wird, das den Absolventen zur Erfüllung qualifizierter Aufgaben befähigen soll, stehen durchaus auch berufliche Entwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Für den Ausbildungsplatzsuchenden und den ausbildenden Rechtsanwalt oder die Kanzlei klingt das vielversprechend.

Und die Berufswirklichkeit?

Die Berufswirklichkeit beginnt mit dem Eintritt in das Berufsleben oder eigentlich schon davor, wenn sich Schüler entscheiden sollen, mit welcher Ausbildung sie in das Berufsleben starten. Denn Berufswirklichkeit ist auch, wie der Beruf – das Berufsbild – von außen wahrgenommen wird.

Ist der Beruf interessant, bietet er abwechslungsreiche Tätigkeiten, kann ich selbstständig arbeiten und zu guter Letzt, kann ich davon angemessen leben?

Die Erfahrungen aus großen Berufsmessen wie der NordJob in Kiel, aber auch aus klei­nen Veranstaltungen direkt in den Schulen zeigen, dass das Berufsbild der Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten nahezu unbekannt ist. Wenn dann doch einmal jemand davon gehört haben sollte, wird man oft damit konfrontiert, dass der Beruf schlecht bezahlt sei, keine Aufstiegsmöglichkeiten biete und es sich im Wesentlichen ohnehin nur um eine “Tippsentätigkeit“ handele.

Woher kommen diese Vorurteile, die schon bei den nach einer Ausbildung suchenden Schülern vorherrschen?

Tatsächlich sind diese Vorurteile nur schwer zu entkräften, wie uns der regelmäßige Erfahrungsaustausch über die Berufswirklichkeit in den Kanzleien mit unseren Mitgliedern ge­zeigt hat.

Die praktische Ausbildung wird in vielen Kanzleien nach wie vor vernachlässigt.

Auszubildende berichten, dass sie zum Teil über die gesamte Ausbildungsdauer einfache Hilfstätigkeiten ausführen, nie an einem Gerichtstermin teilgenommen, einen Mahnbescheid erstellt oder eine Klage geschrieben hätten. Wenn sich niemand die nötige Zeit nimmt, bleibt die praktische Ausbildung auf der Strecke. Die Auszubildenden fühlen sich dann abgeschoben und nicht in die Kanzleiabläufe integriert. Spannungen zwischen Rechtsanwalt, Mitarbeitern und Auszubildenden sind vorprogrammiert, weil Anspruch und Leistungsfähigkeit sich so nicht decken können.

Bei den Seminaren zur Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen muss immer wieder fest­gestellt werden, dass Auszubildende teilweise selbst nicht über die einfachsten Grundkenntnisse im materiellen und formellen Recht verfügen, wie es der individuelle Ausbildungsplan der Rechtsanwaltskammer umfangreich aufzeigt und vorschreibt.

Dringend muss auch an den Vergütungsmodellen gearbeitet werden.

Dies allein ist nur ein Faktor in der Gesamtbetrachtung, der zur Attraktivität der Ausbildung und des Berufsbildes beiträgt. Bei einer Ausbildungsvergütung allerdings, die teilweise noch unter der liegt, die das Friseurhandwerk zahlt, brauchen wir uns aber auch nicht über eine Vielzahl von ungeeigneten Bewerbern wundern, die das doch schon anspruchsvolle Anforderungsprofil nicht erfüllen. Der Markt lässt sich eben nicht überlisten.

Durch diese Entwicklung ist aus Sicht des Verfassers ein Kreislauf in Gang gesetzt wor­den, der dazu führt, dass die Zahlen der qualifizierten Bewerber – die es trotz demografischer Entwicklung noch gibt, die sich allerdings anderweitig orientieren – für eine Ausbildung gesunken sind. Dadurch wiederum beklagen immer mehr Kanzleien, dass geeignete Bewerber fehlen und stellen die Ausbildung resignierend ein.

Wirklich kurios ist der Zustand der Berufswirklichkeit aus betriebswirtschaftlicher Sicht für die Kanzleien.

Denn während für viel Geld und Zeit neue PC’s, Server, Software und digitales Diktieren investiert wird, haben wir festgestellt, dass gut ausgebildete Fachkräfte, die nach der Aus­bildung über ein umfangreiches Wissen verfügen und sich gewinnbringend in die Kanzleien einbringen könnten, nicht entsprechend ihren Fähigkeiten eingesetzt werden.

Darüber hinaus werden oftmals von den Kanzleien Weiterbildungsmöglichkeiten wie die Teilnahme an Seminaren nicht bezahlt oder die Mitarbeiter, die zur Zahlung bereit sind, werden nicht freigestellt.

Sehr enttäuschend für unsere ehrenamtliche Vereinsarbeit ist es dann, wenn wir erfahren, dass die Ausschreibungen, die wir bei den Gerichten auslegen nicht mitgenommen und sogar aus den Gerichtsfächern aussortiert werden.

Diese Rechnung kann natürlich nicht aufgehen.

In der Folge gehen gelernte Fähigkeiten und Kenntnisse der Rechtsanwalts-und Notarfachangestellten durch veralteten Wissensstand oder ganz einfach durch Vergessen im Lauf der Zeit verloren. In Bezug auf Leistungsfähigkeit gehen damit trotz neuester Technik Quantität und Qualität der Mitarbeiter und somit auch der Kanzlei insgesamt verloren, was letztendlich natürlich auch betriebswirtschaftlich durchschlägt.

Mitarbeiter, die nicht gefordert und gefördert werden, sind oft unzufrieden, was Auswirkungen auf die Leistungsbereitschaft und das Betriebsklima haben kann.

Schlimmstenfalls gehen die dringend benötigten Fachkräfte den Kanzleien verloren, weil sie sich nach der Ausbildung oder aus angestellter Position heraus berufsfremd orientieren und wechseln.

Denn tatsächlich ist es mittlerweile so, dass freie Stellen über Monate nicht besetzt werden können, weil es einfach an geeigneten Bewerbern fehlt.

Sicherlich kann man sich hier nicht mit den großen Ausbildungsbetrieben aus der Wirtschaft, Finanz- und Versicherungsbranche oder dem öffentlichen Dienst in jeder Hinsicht messen.

Ein Blick auf die Entwicklung bei anderen Freiberuflern zeigt allerdings deutlich auf, wie man die aktuellen Probleme beheben könnte. So lohnt sich beispielsweise ein Blick auf die Arbeit der Steuerberaterkammer und der Ärzte- sowie Zahnärztekammer.

Die Akquise beginnt dort schon aktiv in den Schulen. Den Schülern wird das Berufs-bild auf jeder großen Messe mit großem Personal- und Materialeinsatz näher gebracht. Es gehen Vertreter des Berufsstandes in die Schulen. Im Gepäck haben sie eine umfangreiche und moderne Ausbildung, bieten bereits in der Ausbildung eine attraktive Vergütung, fördern Weiterbildungsmaßnahmen und können selbst-ständiges Arbeiten und berufliche Aufstiegsmöglichkeiten bieten.

Dort hat mittlerweile ein Umdenken stattgefunden, das die Vorteile und zwar auch die wirtschaftlichen Vorteile erkannt hat, die es mit sich bringt, wenn man qualifizierte, selbstständig arbeitende Mitarbeiter hat, die sich mit ihrem Beruf identifizieren können und die dies auch nach Außen vermitteln.

Wie können wir nun also die erreichen, auf die es ankommt?

Neben verstärkter Arbeit in den Schulen und dem leidigen Thema der Vergütung will ich hier noch einmal ganz klar sagen, die Rahmenbedingungen sind vorhanden.

Es sind vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten und Anreize für Kanzleien, Schüler und Mitarbeiter zur Steigerung der Attraktivität der Ausbildung und der beruflichen Entwicklung vorhanden.

Einzelkämpfer oder kleinere Kanzleien, die bisher nicht ausgebildet haben, weil sie den finanziellen und zeitlichen Aufwand scheuten, bietet sich eine sogenannte Verbundausbildung an, bei der mindestens zwei Kanzleien einen Kooperationsvertrag über eine teilweise Ausbildung in ihrer Kanzlei schließen. Dies wird von der EU mit einem Gesamtbetrag von fast 5.000 Euro gefördert. Mit diesem Förderbetrag ist schon ein erheblicher Teil des ersten Ausbildungsjahres bezahlt.

Unentschlossenen Schülern, die nicht wissen, ob sie weiter die Schule besuchen oder doch in die praktische Ausbildung gehen sollen, können wir beispielsweise an der Beruflichen Schule in Kiel neben der beruflichen Ausbildung auch den parallelen Erwerb der Fachhochschulreife anbieten.

Für Mitarbeiter bestehen zahlreiche Möglichkeiten der Weiterbildung und Förderung der Weiterbildung durch staatliche Programme beispielsweise zum Rechtsfachwirt und/oder Notarfachwirt.

Das Problem ist nur, dass die, die wir erreichen wollen, dies nicht wissen.

Es sollte also verstärkt Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden. In der „heißen“ Bewerbungsphase werden in der Landeszeitung, den Kieler Nachrichten, Lübecker Nachrichten und weiteren regionalen Tageszeitungen verschiedene Ausbildungs-berufe vorgestellt. Diese Chance sollten auch wir zukünftig nutzen.

Sicherlich bietet auch die Internetseite der Kammern noch Möglichkeiten. Für Ausbildungssuchende könnte eine Liste mit den Kanzleien eingestellt werden, die ausbilden. Denen, die Ausbilden wollen, könnten Fördermöglichkeiten aufgezeigt werden.

Und denen, die bereits ausbilden, könnte in den Kammernachrichten vielleicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Wie Sie sehen, reichen zunächst einfache Überlegungen, die nicht mit großem Geld oder Zeitaufwand verbunden sein müssen.

Hier können wir mit Spannung weitere Vorschläge und Konzepte aus den Workshops erwarten.

Es ist der Wunsch des Verfassers, dass wir auch in Zukunft bei diesen und anderen Themen eng miteinander zusammenarbeiten und den so wichtigen Gedankenaus-tausch intensivieren können. Denn wichtig ist aus der Sicht des Verfassers, dass ein Umdenken über das Berufsbild hier bei uns stattfindet und ein ganzheitliches Konzept beginnend bei der Akquise von Auszubildenden, der Ausbildung selbst und der Bindung von Mitarbeitern er­arbeitet und umgesetzt wird.

Nur wer heute und in Zukunft ausbildet und seine Mitarbeiter durch geeignete Maßnahmen halten kann, wird dem mit dem schon heute akuten Fachkräftemangel in Gang gesetzten Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage entgehen und damit am Markt wettbewerbsfähig bleiben können.

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